2,5 mg Tavor

Es ist 6 Uhr morgens und mein Tag beginnt mit 2,5 mg.

2,5 mg Tavor.

Ich hänge in Panik fest, Tränen schütteln mich und ich kann mich nicht beruhigen. Der Tag hat noch nicht einmal richtig angefangen und ist doch schon irgendwie gelaufen!

Gleich fahre ich mit meinen Großeltern zu den Pferden und bis dahin muss ich wieder Fassung beweisen. Ich kann nicht weinend vor ihnen zusammenbrechen… oder Ähnliches.

Eigentlich ist das der Punkt an dem ich sagen dürfte, dass es mir zu viel ist und ob ich Zuhause bleiben kann. Ich glaube es würde niemand „nein“ sagen (habe ich noch nie probiert). Aber damit würde ich mich viel zu sehr zeigen. Würde mein Innen aufmachen. Wär zu verletzlich.

Werfen mich 1,2 kg Gewichtszunahme so aus der Bahn?

Zum Glück habe ich heute noch Betreuung bei meiner Lieblingsbetreuerin! Ich hatte gestern schon unseren Termin vorbereitet, konnte es dann aber nicht ausdrucken und es auch nicht speichern, weil es nicht mein eigener Laptop war. Aber ich werde es wohl irgendwie noch erinnern und zusammenbekommen.

Jetzt gilt es zu Atmen. Ruhiger werden. Nicht im Strudel abwärts versinken, sondern das Beste aus dem Tag heraus zu holen. Und vielleicht tun mir die Pferde ja gleich auch einfach total gut!

Mein Voni

über unruhige Nächte und meine Essstörung

Diese Nacht heute ist schlimm. Ich wache und wache immer wieder auf, bis ich am Ende, kurz vor Mitternacht, beschließe, dass ich jetzt eine Pause von meinen Alpträumen brauche. Dann bin ich aufgestanden.

Gestern, Mittag und Abend, habe ich unter einem furchtbaren „Fress-Kotz-Anfall“ gelitten. Der Leidensdruck ist hoch gewesen und dann fing es an.

Ich habe sogar Lauchgemüse gekocht, was echt lecker war. Aber danach ging es dann damit los, dass ich kein Halten mehr fand. Und so ging ich die Treppen hinunter in die Küche, machte mir etwas zu Essen. Aß in meinem Zimmer (Treppen hoch) um dann doppelt so viele Treppenstufen in den Keller zu nehmen, wo ich mich im Bad eingeschlossen dann allen gegessenen Dingen entledigte. Danach wieder in die Küche, wieder hoch, wieder runter ins Bad. Dann wieder Küche. Es war sehr schlimm für mich. Und ich kam aus diesem schlimmen Kreislauf nicht mehr raus, bis meine Betreuerin mich angerufen und mir Mut zugesprochen hat.

Dann begann eine kurze Zeit des Weinens, weil ich so dankbar für meine Lieblingsbetreuerin bin. Sie tut so, so viel für mich! Und dennoch sagt sie, dass sie denkt ich bräuchte viel mehr Unterstützung. Ich sehne mich danach auch sehr. Ja! Aber ich möchte bei Frau Hoffnung in der Betreuung bleiben und sein. Also kommen andere Gedanken gar nicht erst in Frage. Zudem bin ich zufrieden mit dem was gerade ist. Sie ist mir wichtig. Unglaublich wichtig und ich liebe sie für alles was sie für mich tut (und sie tut sehr, sehr viel für mich). Ich hab sie einfach als meine Betreuerin so lieb und gern. Sie schenkt mir so vieles emotionales, fürsorgliches. So viel Kraft und achtsamen Lebensmut. So etwas Schönes hat zuvor noch nie ein Mensch für mich getan!!

Ich versuche immer tapfer zu sein! Und ich gebe immer mein Bestes.

Ich esse etwas, dann denke ich „diesmal schaffe ich es ohne“ (zu erbrechen) und dann gelingt es dennoch nicht. Das sieht dann so aus, dass ich kleine bis mittlere Portionen esse, viel Wasser trinke und mich anschließend selbstinduziert erbreche. Direkt danach esse ich das nächste Mal und übergebe mich erneut. Jedes Erbrechen ist aber nicht mit einmal würgen erledigt. Und so stehe ich oft minutenlang vor der Toilette und schmeiße „gekonnt“ alles raus was keine Miete zahlt.

Das ist nicht mit einem Mal erledigt, den Magen wieder zu entleeren. Man braucht schon mehrere Etappen, bis zur Bezeichnug „ich habe gekotzt“. Einmal Erbrechen ist also nur der Oberbegriff für das, dass ich mehrere Male würgend vor dem Porzellangott stehe.

Gestern habe ich dann noch ein kleines Telefonat mit meiner Betreuerin gehabt, die sagte „Fräulein Voni, jetzt ist gut für heute“ und „passen Sie gut auf sich auf“ und sie sagt, dass sie gerade nicht auf mich aufpassen kann, weil sie zu weit weg ist und ich verspreche es ihr. Weil ich weiß, dass wir uns beide schätzen.

Ich bin glücklich, dass meine Lieblingsbetreuerin an meiner Seite ist. Einfach von Innen heraus so tief dankbar und bewegt.

Einblutungen am Auge

So, jetzt ist es so weit. Unter meinem linken Auge sind beim Erbrechen Äderchen geplatzt. Ich habe ein weinrot unterlaufendes Auge. Wer es jetzt nicht sieht, der wird es nie kapieren. Scheint aber erstmal niemandem krass aufzufallen. Was für ein Glück.

Es ist mir peinlich zu Kotzen. All das gute Essen und all die Mühen, die hinter den Nahrungsmitteln stehen

Heute weine und heule ich, dann weine ich wieder. Ich höre mein aktuelles Lieblingslied. Bin traurig. Frustriert. Inzwischen wiege ich knapp 60 kg. Für mich ein Alptraum: ich liege 10 kg über meinem Wohlfühlgewicht. Und ich bin innerhalb sehr weniger Wochen da hinauf geschossen. Alles nicht verstehbar für mich.

Ich kann nicht mehr. Ich kann wirklich nicht mehr. Ich kann es nicht mehr aushalten. Und dank des Olanzapin bekomme ich meine Fressanfälle nicht in den Griff. Aber liegt es wirklich daran? Oder bin ich einfach nur unfähig mich zu zügeln?

Fakt ist: ich nehme immer weiter zu.

„Sie haben die falsche Einstellung!“

Seit etwa fünf Uhr bin ich auf den Beinen. Ich sitze nun im Aufenthaltsraum, trinke Tee und Kaffee und bin noch immer geplättet von der Visite gestern. Die Ärztin ließ mich rund laufen und hielt mir vor ich habe die falsche Einstellung, weil ich mir das Raclette-Essen als jahrelang Essgestörte nicht vorstellen konnte. Seit dem hungere ich, um vorsorglich abzunehmen. Das klappt auch super: 1.3 kg in 6 Tagen. Damit bin ich zufrieden.

„Falsche Einstellung“, „Sie müssen nur wollen“, solche Dinge warf sie mir an den Kopf und ich bräuchte ein großes Ziel. In die WG zurück zu wollen sei zu klein als Ziel und sie warf all unsere Arbeit mit den Betreuern in der WG über den Haufen. Das tat mir so sehr weh, dass ich schrecklich lange und viel geweint habe. Was sie auch wieder falsch fand. Sie machte mich lange Minuten lang richtig fertig.

Fazit: ich fühle mich nicht ernst genommen und ich muss zum Raclette Essen dazu. Sie sagte ich könne mich ja 10 Minuten ohne was zu essen dazu setzen und dann auf mein Zimmer gehen. Na ja, wenn ich das schaffe? Aber sie meint ich muss nur wollen und an mich glauben und zu weinen oder gekränkt zu sein, sei ebenfalls die falsche Einstellung. Puh!

Ich nehme das jetzt so an und versuche zu wollen. Aber ehrlich gesagt will ich noch immer nur eines wirklich und das ist sterben. Das habe ich ihr nicht sagen können vor lauter Tränen. Aber wenn es soweit ist, wird sie es schon merken!

Das war ein richtig heftiger Einlauf. Geredet habe ich danach trotz heftiger Tränen und vieler Gesprächsangebote von der Pflege, die von nichts davon weiß, nur mit meinem Vater. Wenn sie alles als die falsche Einstellung sieht (was verwundert, weil ich bislang jedes Mal gelobt wurde), muss ich mich wieder in mir zurückziehen und für mich alleine kämpfen. Auch wenn selbst das wahrscheinlich wieder falsch ist.

Gestern hatte ich das Gefühl alles ist falsch. Vor allem ich!

Ich will eine grazile Leiche sein

Wenn ich sterbe will ich schlank sein. Dünn. Vielleicht ein wenig hager. Ich will eine dünne Leiche sein, bei der man bei der Obduktion, beim Aufschneiden durch nicht viel Fettgewebe schneiden muss.

Danach will ich verbrannt werden, weil ich noch ein letztes Mal Schmerz spüren möchte und dann am liebsten am Meer verstreut werden, weil ich dort noch nie zu vor war.

Aber abnehmen kann man nur, wenn man lebt. Also werde ich an mir arbeiten müssen. Bis ich sterbe. Jede Bewegung kann ich vergessen, ich habe keinen Ausgang. Also muss ich am Essen sparen. Frühstück und Mittagessen habe ich ausfallen lassen. Habe nicht mal unter den Teller gesehen. Wohl aber Birnen gegessen und ein paar Kekse.

Ich bin das Leben leid. Weil es keinen Spaß mehr macht und ich keinen Sinn sehe. Für was? Versteht ihr? Für was?

Mein Mitpatientin V. heitert mich auf. Ich versuche mich nicht wegen dem wenigen Bedarf aufzuregen. Im Zweifel fällt mir schon was ein. In diesem Sinne kämpfe ich den Tag heute zu Ende. Auch wenn er mir viele schlimme Nachrichten brachte.

FuckLife!

Hello darkness my old friend. Tag 10

Heute will ich gar nicht aufstehen. Die Depression hat mich voll im Griff. Ich sehe keinen Sinn im Wachsein, keinen Sinn zu leben, keinen zum Atmen und keinen mich zu bewegen.

Die liebe Pflegerin sagt ich muss mich überwinden und sie hat mir mein Frühstück ans Bett gebracht. Mit extra Kaffee mit Milch für mich. Sie ist so lieb. Sie sagt ich muss aufstehen, der Krankheit zum Trotze. Aber ich glaube nicht, dass es das besser macht – weil ich an gar nichts mehr glaube.

Sie hat mir jetzt meine Tavor gebracht und sagt ich soll essen und dann vorkommen, die anderen Tabletten nehmen. Ich mag nicht. Ich will nicht aufstehen. Ich will ja nicht mal atmen.

Hello darkness my old friend!

„Halt einfach deine Fresse“, sage ich zu mir und stehe kurz vor der Selbstverletzung

***Triggerwarnung***

Ich bin einfach ein zu offener Mensch. Ich kann nicht lügen. Selbst wenn ich es mir vornehme, ich kann nicht dabei bleiben. Pflegerin Frau V. fragt gerade Pfleger Herrn R., ob er die Schwimmpflanzen aus dem Aquarium gefischt hat und ich höre mich sagen, dass das wohl Pflegerin Frau F. war und schon ziehe ich mir gedanklich einen Holzprügel über den Kopf und denke nur „scheiße! Halt einfach mal deine Fresse!“ und schon dreht sich Herr R. um und läuft demonstrativ pfeifend weg, wirft den Kopf etwas nach oben, einfach weil ich es gesagt habe und er seine Unschuld zur Schau stellt. Es kam einfach so über mich das zu sagen, weil es zum Wohl der Fische ist. Jetzt bereue ich das. Nicht der Fische, aber der verfluchten Aufrichtigkeit wegen. Bin hoch auf mein Zimmer und platze schier unter diesem immensen Schneidedruck!!! Seit zwei Tagen hecheln die Fische wie verrückt und ich kann einfach nicht dabei zusehen, wie sie wegsterben, nur weil sich außer Frau V. niemand mit dem Aquarium auseinandersetzt.

Eben kam der Pflegeschüler vorbei und fragt „alles okay?“, aber es ist dieses Gefloskel, dieses normale „geht’s dir gut?“, weil er die Aufgabe bekommen hat durch die Zimmer zu gehen und es ist eine der Fragen, auf die niemand eine aufrichtige Antwort will, sondern eine die halt passt. Angespannt sage ich „nee, ist aber egal“, weil er mir eh nicht helfen wird und weil vermutlich auch sonst niemand zu mir hochkommen werden wird und weil ich aus eigenem Antrieb nicht um Hilfe bitten darf. Seine Antwort zu mir lautet „wenn Sie was brauchen kommen Sie runter“ und ich sage resignierend, dass ich es versuche. Er hält es wohl für einen Spaß und meint, dass wir leider keinen Aufzug hätten, sonst wäre es leichter und lacht dann, während ich nur stumm zur Seite schaue, weil ich mit Scherzen jetzt nicht umgehen kann. Mehr als die Schwäche, die ich heute schon gezeigt habe, kann ich nicht nach außen tragen. Ich implodiere beinahe! Kann mich aber kaum bewegen, wegen der Schmerzen! Ich will um Hilfe bitten und kann es nicht. Nicht jeder darf jetzt nahe sein und viele stoße ich einfach weg. Ich hätte jetzt gerne Alkohol.

Vor meinem inneren Auge sitze ich im Bad in der Dusche, baue einen Rasierer auseinander und ziehe mir die Klinge mal langsam und mal schnell durch die Haut. Spüre das warme, pulsierende Ausströmen des Blutes. Es würde mich beruhigen. So vieles erleichtern! Nur kurzfristig… aber offengestanden schrecken mich langfristige Folgen wie „neue Narben“ nicht mehr ab. Wie egal ist es doch, ob dort einige mehr oder weniger sind, wo eh kein Fleck gesunder Haut mehr zurückgeblieben ist.

Ja, ich hätte gerne gesagt „nein, mir geht es gar nicht gut, ich habe Schneidedruck und mein Leben wächst mir über den Kopf“, und vor allem „ich hab keine Kraft mehr“, oder ein „bitte, bitte helfen Sie mir“, aber in meiner Verzweiflung und dem inneren Druck, werde ich nur schroff und unnahbar und hart. Ich sehne mich danach, dass jemand hinter diese harte Schale blickt und meine Bezugspflegerin würde mir jetzt beistehen, aber sie ist heute nicht da. Innerlich weine und schreie ich. Aber mir wurde heute schon einmal gesagt ich solle „nicht schon wieder gleich losweinen“ von der Stationsleitung und ich fühle mich ausgebremst, wo doch meine Psychologin sagte ich solle Gefühle zu lassen. Entscheidet euch, ich kann nicht beides gleichzeitig für euch tun!

In mir: unbändiger Selbsthass. Ich tauge zu nichts. Gleich ist zudem noch Therapiebesprechung und wahrscheinlich werden sie alle über mich klagen müssen. Ich denke, dass ich gehasst werde und ich überlege, ob ich den Aufenthalt hier nicht doch abbrechen sollte. Es ist wieder dieses „ganz oder gar nicht“. Dieses „alles oder nichts“. Es ist dieser Lebensschmerz und die Sehnsucht danach, nicht hätte leben zu müssen. Das Gefühl, dass alles zu viel ist, dass mir alles über den Kopf wächst. Ich empfinde sogar das Gefühl heim zu wollen, weil ich da eh niemanden mehr enttäuschen kann und weil ich da trinken und fressen und kotzen kann und weil ich da meine Raten an den Tod weiter abbezahlen kann. Stück für Stück, bis ich dann endlich weg bin.

Heute habe ich das erste Mal das Gefühl, dass ich dem Schneidedruck nach all den Monaten nachgeben werde. Mein Limit ist erreicht. Es ist schwer – zu schwer! Ich kann nicht mehr. Und das Empfinden, das ich fühle, wie ich den Gedanken an das Schneiden innerlich absegne, ist aufgeregt und leicht. So leicht!